Sehr geehrter Herr Chefredakteur Bröcker,
Ihre Morgenbotschaft von Dienstag nach Ostern überrascht den unbefangenen Leser. Da stehen wir alle noch unter den Schock des furchtbaren Terroranschlags gegen Christen mit hunderten von Toten und Verletzten. Ausgeübt am Ostermorgen, in Kirchen, wo Gläubige das Fest der Auferstehung feiern wollten. Der Tod kam in die Gemeinden plötzlich und mit lauten Knall, Schmerzensschreie, Stöhnen, Entsetzen. Helfer und Angehörige bergen an dem Tag die blutigen, zerfetzten Körperteile ihrer ermordeten Gatten, Kinder, Geschwister und Eltern. Aber dieser grauenhafte Massenmord findet sich erst an dritter Stelle Ihres Aufmachers. Von besonderer Wichtigkeit hingegen erachten Sie die deutsche „armselige und ethisch fragwürdige völkische Denke“, die sie bei vielen Bürgern hierzulande diagnostizieren. Das steht bei Ihnen an erster Stelle. Nun ja, in einigen Wochen haben wir die Europawahl und die RP als Tendenzblatt befindet sich naturgemäß im Wahlkampfmodus. –
Aber wo verorten Sie die „völkische Denke“ ? Der III. Weg tritt zwar zur Wahl an, aber sind das „viele“? Der aufgeklärte AfD-Anhänger wird sich den Schuh nicht anziehen. Ich zum Beispiel würde liebend gerne so manchen Biodeutschen (Wortschöpfung von Cem Özdemir) aus dem rot-grünen Krawallmilieu gegen Neubürger, die zum Wohlergehen dieses Landes einen Beitrag leisten, eintauschen wollen. Ich denke da zum Beispiel an die strebsamen Inder, Chinesen und generell Asiaten, die ich im Laufe meines Arbeitslebens kennen und schätzen gelernt habe. Aber natürlich auch andere Nationalitäten. Und so wie ich denken die meisten meiner Parteifreunde. Ist etwa der türkischstämmige Erfolgsautor Akif Pirinçci mit seiner klaren, deftigen Ausdrucksweise nicht eine Bereicherung unserer literarischen Landschaft? Oder Asfa-Wossen Asserate, der als echter politisch Verfolgter schon vor vielen Jahren bei uns Asyl gefunden hat und uns nun, ähnlich wie Pirinçci, als Schriftsteller den Spiegel vorhält? Auf die einheimischen Burschen, die jetzt schon auf die Randale der Kreuzberger Nacht zum 1. Mai in Berlin hin trainieren, auf die können und wollen wir gerne verzichten. – Noch etwas: Was bedeutet eigentlich „Ökonomisch verwerflich?“ Soweit ich mich erinnere, hatten wir einen funktionierenden Binnenmarkt in weiten Teilen Europas schon in der alten EWG. Und es gibt durchaus Beispiele funktionierender europäischer Zusammenarbeit auch außerhalb der EU-Bürokratie. Zum Beispiel die ESA oder CERN. Da machen sogar die Schweizer und Norweger mit. Sind die in Ihrer Lesart auch „völkisch, armselig und ethisch fragwürdig“? Oder sogar kriegslüstern, weil die nicht beim „Friedenswerk“ EU mit dabei sind?
Mit freundlichen Grüßen Bernd Ulrich
Hier zum Hauptartikel im Innenteil: https://rp-online.de/politik/deutschland/eu-und-brexit-nach-dem-nationalstaat_aid-38247993